Das Kabinett hat heute den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, mit dem die Triage in einer besonderen Ausnahmesituation geregelt werden soll. Gibt es, aufgrund einer übertragbaren Krankheit, keine ausreichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten, ist die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit das maßgebliche Kriterium für die Zuteilungsentscheidung. Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2021 (1 BvR 1541/20) zu Benachteiligungsrisiken insbesondere von Menschen mit Behinderungen in der Triage. Mit dem Gesetz werden für die Zuteilungsentscheidung maßgebliche Kriterien und Verfahrensvorschriften geregelt.
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach erklärt dazu: „Wer ein Intensivbett benötigt, muss es bekommen – auch in der Pandemie. Daher werde ich mich weiterhin dafür einsetzen, dass Engpässe in der intensivmedizinischen Versorgung gar nicht erst entstehen, durch konsequente Bekämpfung der Pandemie. Gleichzeitig tragen wir mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Schutzpflicht Rechnung und stellen klar, dass Menschen mit Behinderungen oder Hochaltrige auch in Zeiten knapper Kapazitäten nicht benachteiligt werden dürfen.“
Der Gesetzentwurf sieht insbesondere folgende Regelungen vor:
- Gleichbehandlung: Die Regelungen zur Zuteilungsentscheidung von aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten gelten für alle Patientinnen und Patienten, unabhängig von der Ursache der intensivpflichtigen Behandlungsbedürftigkeit.
- Aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit: Maßgebliches Kriterium für die Zuteilungsentscheidung ist die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit. Komorbiditäten, das heißt weitere Erkrankungen, dürfen bei der Beurteilung der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit eingeschränkt berücksichtigt werden. Zudem wird klargestellt, dass Kriterien, wie insbesondere Alter, Behinderung und Grad der Gebrechlichkeit, die sich auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit nicht auswirken, nicht berücksichtigt werden dürfen.
- Ausschluss der Ex-Post-Triage: Ausdrücklich ausgeschlossen wird mit dem Gesetzentwurf der Abbruch einer noch erfolgsversprechenden und vom Patientenwillen getragenen Behandlung zugunsten einer anderen Patientin oder eines anderen Patienten mit einer höheren aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit.
- Mehraugenprinzip: Zuteilungsentscheidungen müssen nach dem Gesetzentwurf im Rahmen eines Mehraugenprinzips getroffen werden. Dabei ist zudem die Einschätzung einer Person mit besonderer Fachexpertise zu berücksichtigen, wenn eine Patientin oder ein Patient mit einer Behinderung oder Komorbidität von der Zuteilungsentscheidung betroffen ist.
- Der Gesetzentwurf regelt darüber hinaus Dokumentationspflichten sowie die Verpflichtung der Krankenhäuser, die Umsetzung der vorgeschriebenen Entscheidungsabläufe durch Verfahrensanweisungen sicherzustellen.
Hintergrund: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.12.2021
In seinem Beschluss vom 16. Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Staat in bestimmten Konstellationen ausgeprägter Schutzbedürftigkeit eine Pflicht hat, Menschen wirksam vor einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung auch durch Dritte zu schützen. Eine solche Situation ausgeprägter Schutzbedürftigkeit sah das Bundesverfassungsgericht in dem Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen und gab dem Gesetzgeber daher auf, Schutzvorkehrungen für diesen Fall zu treffen.